Bis in den Abgrund freigelegte Tonpfade
Für diverse Tonträger ist die Klaviermusik von Leos Janácek hochrangig aufgenommen worden.Von Rudolf Firkusny etwa, der als junger Mann noch mit dem Komponisten vierhändig am Flügel saß. Oder von András Schiff. Doch in Konzerten hört man sie zumindest hierzulande selten, und dass alle Hauptwerke auf einmal in ein Sonntagsnachmittagsprogramm gepackt werden, ist eine echte Rarität. Aber im gut besuchten Florian- Waldeck -Saal der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen spielt die Pianistin Asli Kilic wirklich die drei großen Zyklen: "Auf verwachsenem Pfade" , "Sonate von der Strasse" und "Im Nebel". Auf CD hat sie auch schon vorgelegt.
Und Kilic zeigt den (nahezu) kompletten Janácek nicht bloss durch diese Auswahl, sondern auch durch ihren Interpretationsansatz.Herbheit und Süße, Kantabilität und scharfe Kante bringt sie bereits in der eher zugänglichen Sammlung "Auf verwachsenem Pfade" mit ihren fast ohrwurm- (und auch kürzelhaften) Schönheiten zum Gleichgewicht.Aber nicht kompromisslerisch. Sie zeigt, was hier noch spätromantisch und an Smetana und Dvorák orientiert ist- und was nicht. Derlei Kontraste treten schroff hervor, der Anschlag Kilics kann sehr hart und unnachgiebig sein. "Das Käuzchen ist nicht fortgeflogen", heißt das letzte Stück, dem eine leise Todesahnung eingeschrieben ist. Ein starker Eindruck bleibt.
Komponist als Patriot
Was Janáceks Musik modern und beinahe avantgardistisch macht, zeigt sich im Restprogramm noch deutlicher. In der "Sonate von der Strasse, 1.10.1905" tritt uns der Komponist als Patriot entgegen, der ein Opfer Habsburgischer Obrigkeit betrauert. Dessen Todeskampf im zweiten Satz schildert die Pianistin völlig ungeschönt. Während das Presto , das "Im Nebel" abschließt, schon die Giftgaswolken und Granatschauer des Ersten Weltkriegs zu erahnen scheint. Aber das ist natürlich eine unhistorische Betrachtungsweise- Janácek beschäftigte sich hier "nur " mit privaten Katastrophen.
Mannheimer Morgen, 21.02.2014, Hans-Günter Fischer
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