„Mit Mut gegen Verwirrung der Ohren“
Orchester der Musikfreunde Heidelberg spielt zum 100. Geburtstag Cosacchis – Enkelin Anne dirigiert
Was wenige wissen: Wenn man mit Stefan Cosacchi spazieren ging, konnte es geschehen, dass er auf verschwiegenem Pfad oder blühender Wiese plötzlich innehielt und einige Themen aus Dvoraks e-Moll-Sinfonie sang. Dabei schaute er mitunter recht melancholisch in die Ferne und bekannte, dass der tschechische Meister zu seinen wichtigsten Vorbildern zähle.
Aufs erste Hören spürt man – abgesehen von den Streichquartetten oder den Sonaten für Soloinstrumente und Klavier – davon nicht viel. Auch in der „Burgundischen Lautenfantasie", der so genannten „Valentin-Suite" für großes Orchester, die Cosacchis Enkelin Anne Cosacchi anlässlich eines Festkonzertes im Spiegelsaal des Frankenthaler Congress-Forums dirigierte, huldigt der ungarische Komponist anderen Idealen. Im Geiste jedoch ähneln sich die beiden Komponisten: Schönheit thematischer Erfindungen, architektonische Klarheit, markante rhythmische Strukturen und harmonische Strenge waren für Stefan Cosacchi unverzichtbare Vorgaben.
Für Cosacchi war Musik – wie seine noch immer unveröffentlichte musikphilosophische Abhandlung „Neue Denkschemen für ein neues Weltbild" erkennen lässt – klingender Abglanz kosmischer Vorgänge. Cosacchi weigerte sich daher strikt – obwohl von Neutönern der 20er und 30er Jahre beeinflusst – die Tradition einer nach konstanten und geschichtlich unabhängigen Gesetzen organisierten Musik zu opfern und entschloss sich mutig dazu, eine Musik zu komponieren, die den Gewohnheiten der Ohren nicht widerstrebte und den Verstand nicht verwirrte. Noch immer harrt sein Werk einer würdigen Entdeckung. In der Speyerer Landesbibliothek warten sieben Meter Noten auf ihre Liebhaber.
Licht ins Dunkel des Notengefängnisses brachte nun Enkelin Anne, die gerade mit großem Erfolg ihr Studium an der Mannheimer Musikhochschule abschloss, eine vorzügliche Analyse der Werke ihres Großvaters vorlegte und nahezu zeitgleich diesem ein klingendes Geburtstagsgeschenk in den Himmel schickte. „Schade, dass Stefan Cosacchi das nicht mehr hören konnte", sagte ein Besucher des Sinfoniekonzertes mit dem studentischen Orchester der Musikfreunde Heidelberg im vollen Spiegelsaal, „vielleicht hört er über den Wolken ja mit." Er hätte gewiss bewundert, mit welcher Akkuratesse, mit welchem Elan Anne Cosacchi die fünfsätzige „Valentin-Suite" dirigierte. Mit klaren Anweisungen, unbestechlichem Gespür für orchestrale Nuancen und dem Talent, das Studentenorchester für eine inspirierte, thematisch und strukturell vielfältige Musik zu begeistern.
Dem ungarischen Dirigenten Ferenc Fricsay stand Stefan Cosacchi immer etwas argwöhnisch gegenüber. Er mochte ihn, wie er gelegentlich mit leicht galligem Ton fallen ließ, eigentlich nicht. Aber immerhin war es jener, der die Valentin-Suite im Jahr 1943 aus der Taufe hob. Fricsay schätzte, was man auch diesmal bewunderte: die Balance zwischen kammermusikalisch gesetzten Bläser-Passagen, majestätisch-voluminösen Tutti, kontrapunktisch gearbeiteten Passagen und dem innigen Melos der Streicher. Wie etwa in dem nahezu todessüchtigen, melancholischen dritten Satz, der daran erinnerte, dass Cosacchi ein weltweit beachtetes Standardwerk über den europäischen Totentanz verfasste.
Vor der Suite und Mendelssohn Bartholdys „Hebriden-Ouvertüre", die Dominik Therre dirigierte, sang der Gemischte Chor des Liederkranzes Frankenthal unter Leitung von Erik Meßmer und mit Klavierbegleitung von Bettina Bender eine Hymne Cosacchis und dessen Motette „Haec Dies". Zum Abschluss des Festkonzertes ergriff der geschmeidige Orchesterchef René Schuh das Zepter und dirigierte Edvard Griegs wirkungsvollen Klavierkonzert-Hit in a-Moll. Am Klavier saß die junge Pianistin Asli Kilic. Dieser Künstlerin kann man eine bemerkenswerte Karriere prophezeien. Ihre klare, dezidierte Artikulation, ihre faszinierende Technik, die wundervolle Art, mit der sie die lyrischen Ohrwürmer streichelte, schien die Orchestermusiker verhext zu haben. Den Feinschliff verdankt Asli Kilic gewiss auch dem Mannheimer Pianisten Paul Dan, der sie seit Jahren unterrichtet. Ein Festival inspirierter Jugend ging mit einer Zugabe zu Ende. Im Himmel lächelte ein weiser Meister, den die Frankenthaler Bürger als einen ihrer prominenten Wahlsöhne schon lange ins Herz geschlossen haben.
Rheinpfalz, 08.07.2003, Gerd Kowa
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